Zwei Freundinnen und ihre Leidenschaft für seltene Bücher

Auf Seite 177 ist es endlich so weit: Leona Rostenberg entschließt sich nach langem Zögern und unter sanftem Druck ihrer Freundin Madeleine Stern, das zu tun, was sie wirklich will: ein eigenes Antiquariat zu gründen. Wir schreiben das Jahr 1944.

Rostenberg Stern Nicht, dass ich mich bis dahin gelangweilt hätte. Aber eigentlich haben mich die Kindheits- und Jugenderinnerungen der beiden Amerikanerinnen deutsch-jüdischer Abkunft nicht sonderlich interessiert. Ich wollte teilhaben am Werden und am Aufstieg eines Antiquariats, das im Laufe der Jahre zu einer Institution im internationalen Geschäft mit alten wertvollen Büchern werden sollte.

Bücher haben im Leben der beiden Frauen, die in diesem Buch eine Doppel-Biografie präsentieren, jedoch schon immer eine große Rolle gespielt. Leona Rostenberg hatte sogar trotz des hinhaltenden Widerstands ihres Doktorvaters Lynn Thorndike, der sie in Richtung arabische Astrologie drängen wollte, ihre Doktorarbeit über die frühen Drucker als Beförderer von Wissenschaft und Reformation geschrieben. Nachdem Thorndike den Zwischenstand der Arbeit Rostenbergs noch abgenickt hatte, lehnte er die abgeschlossene Arbeit schließlich knallhart ab.

Ein schwerer Schock für die junge Frau, die viel Zeit und Arbeit für ihre Dissertation aufgewendet hatte. Notgedrungen musste sie auf Jobsuche gehen und landete als Assistentin bei Herbert Reichner, einem aus Wien in die Staaten emigrierten hoch angesehenen, aber als Arbeitgeber sehr schwierigen Antiquar. Fünf harte, aber lehrreiche Jahre in dem Antiquariat, das die bedeutendsten Büchersammler aus aller Welt anzog, erwiesen sich als gute Schule für die Selbständigkeit.

Kennen gelernt hatten sich Leona Rostenberg und Madeleine Stern, als sie beide an einer Sabbath-Schule in New York unterrichteten. Später begegneten sich die jungen Frauen auf dem College wieder, und es entwickelte sich eine dauerhafte, ungewöhnlich starke Freundschaft zwischen ihnen. Während Rostenberg ihren wissenschaftlichen Forschungen nachging, setzte Stern ihre – ungeliebte – Unterrichtstätigkeit fort und begann mir ihrer schriftstellerischen Arbeit. Im Jahr 1945 stieg sie als Geschäftspartnerin in das Antiquariat „Leona Rostenberg – Seltene Bücher“ ein.

Als Rostenberg 1944 ihren Dienst bei Herbert Reichner quittierte, um sich selbständig zu machen, verabschiedete dieser sie mit den Worten:

„Ich wusste, das würde eines Tages geschehen, Sie machen natürlich ihr eigenes Geschäft auf. Aber lassen Sie mich Ihnen sagen: Wenn Sie es sich anders überlegen, werde ich Ihr Gehalt erhöhen. Vergessen Sie nicht, dass es nicht einfach ist. Sie brauchen Fingerspitzengefühl – Sie müssen es in den Fingern spüren, um ein seltenes Buch zu erkennen, wenn Sie eines sehen.“

Und an Fingerspitzengefühl hat es den beiden Frauen wahrlich nicht gefehlt. Es macht riesig Spaß, das Duo auf seinen „Einkaufstouren“ zu begleiten, mit ihnen auf der Suche nach Bücherschätzen die Stände der Bouquinisten am linken Seine-Ufer zu durchforsten, im Jagdfieber durch bedeutende und unbekannte Antiquariate in London zu streifen, sich mit ihnen in Straßburg oder wohin auch immer sie ihre Geschäftstätigkeit führte über überaschende Entdeckungen zu freuen. In vielen Fällen wird ausführlich dargelegt, was ein bestimmtes Buch so wertvoll macht, welche historischen oder persönlichen Hintergründe eine Rolle gespielt haben, welche Abenteuer und Gefahren ein Buch seit seiner Entstehung überstehen musste.

Wer könnte die beiden Frauen, ihre Arbeit und ihre Freundschaft, die sich zu einer Lebenspartnerschaft entwickelt hat, besser beschreiben als Leona Rostenberg und Madeleine Stern selbst? Hier sind sie im Orignalton:

Im Grunde besteht der wesentliche Unterschied zwischen uns beiden und den meisten anderen auf der Welt darin, dass wir seit über fünfzig Jahren Partnerinnen in einem ungewöhnlichen, manchmal esoterischen Geschäft sind – dem Handel mit seltenen Büchern. Es ist ein Geschäft, bei dem Wissen Macht bedeutet und detektvische Fähigkeiten oft eine wichtige Rolle spielen. Das elektrisierende Gespür dafür, was an einer Erstausgabe oder einem frühen Druck besonders bemerkenswert ist, wird in unserer Branche als Fingerpitzengefühl bezeichnet. Wenn Fingerspitzengefühl sich mit glücklichem Zufall paart, dann öffnet sich für diejenigen, die mit dem Alten und Seltenen handeln, die Pforte zum Paradies.

Im Epilog zu diesem Buch beschäftigen sich die beiden Frauen mit dem Thema Alter, mit ihrem Alter. Noch immer, selbst als Achtzigjährige, packe sie das Jagdfieber, die Entdeckerlust, so schreiben sie in ihrem 1997 unter dem Titel „Old books, rare friends“erschienenen Buch. Aber zum Beispiel bei Messen müssten sie feststellen, dass es nur noch wenige Stände gebe, die von Altersgenossinnen und -genossen betrieben würden. Und sie kokettieren ein wenig damit, dass sie nicht mehr auf die obersten Sprossen der Leiter klettern, um in den höher gelegenen Regalen mögliche Entdeckungen zu inspizieren.

Tja, auch die Leben von Leona Rostenberg und Madeleine Stern waren endlich. Leona verstarb 2005 in New York, Madeleine 2007 ebenfalls in New York.

Ihre Doppelbiografie „Zwei Freundinnen, eine Leidenschaft“ ist eine wunderbare Erinnerung an sie.

Leona Rostenberg / Madeleine Stern
Zwei Freundinnen, eine Leidenschaft
Unser Leben für seltene Bücher
deutschsprachige Ausgabe 2004 bei Hoffmann und Campe

6 Gedanken zu “Zwei Freundinnen und ihre Leidenschaft für seltene Bücher

  1. Ich muss zugeben, so sehr ich auch von der Büchersammelleidenschaft der beiden Damen fasziniert war, fand ich doch auch, dass dieses Buch einige Längen hatte. Dennoch halte ich es für ein wichtiges Zeitdokument.
    Liebe Grüße vom kleinen Dorf am großen Meer
    Klausbernd

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    1. Lieber Klausbernd,
      gewisse Längen sehe ich auch, aber da, wo es um die Kinder- und Jugendzeit der beiden Freundinnen geht. Von dem Augenblick an, wo es um das Antiquariat geht, hätte ich noch lange weiterlesen können.
      Herzliche Grüße,
      Ingrid

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    1. Es hat mir viel Spaß gemacht, diese beiden imponierenden Frauen kennen zu lernen. Es muss wunderbar sein, wenn man sich bis ins hohe Alter seiner Leidenschaft für Bücher widmen kann und dabei auch noch so erfolgreich ist.

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