Es geht rasant los. Agatha Christie ist verschwunden. Dicke Schlagzeilen in der Presse sind die Folge.
„Eine Ente, ohne jeden Zweifel“ urteilt Edgar Wallace nach einem Blick in die Zeitung.
„Gewieft, dieser Verleger. Eine brillante Werbung für sein neuestes Buch ‚Roger Ackroyd und sein Mörder“ meint Arthur Conan Doyle und fügt anerkennend hinzu: „Hätte es nicht besser machen können.“
Dorothy L. Sayers ist entzückt: „Ein herrliches Rätsel!“
Dann, im nächsten Panel, das Verhör: „Mr. Christie, was haben Sie mit der Leiche Ihrer Gattin gemacht …?“
Nun, tot ist Agatha Christie zum Glück nicht. Sie ist 36 Jahre alt und hat soeben ihr eigenes Verschwinden inszeniert: Ende 1926 erfuhr sie, schon schwer getroffen vom Tod ihrer Mutter, dass ihr Ehemann sie betrog. Daraufhin mietete sie sich unter dem Namen der Geliebten ihres Mannes in einem Hotel ein, ließ ihr Auto an einem See stehen und fuhr später mit dem Zug zurück nach London. Elf Tage lang war sie nicht auffindbar.
Muss jemand, der auf solche Ideen kommt, nicht auch phantastische Kriminalromane schreiben können? Für Agatha Christie ist diese Frage mit Sicherheit zu bejahen. Mit ihrem ersten Roman „Das fehlende Glied in der Kette“ -1916 entstanden aufgrund einer schon früher mit ihrer Schwester eingegangenen Wette – legte sie den Grundstein zu einem einzigartig erfolgreichen Leben als Schriftstellerin. Schon 1959 führte ein von der Unesco veröffentlichtes Verzeichnis der in der ganzen Welt übersetzten Werke an, dass Agatha Christie in dreihundert Ländern übersetzt wurde und ihre Bücher vierhundert Millionen Mal verkauft wurden. Und 1959 liegt ja nun schon ein Weilchen zurück …
Die Graphic Novel, die ich hier vorstelle, ist zum 40. Todestag der ebenso produktiven wie erfolgreichen Kriminalschriftstellerin erschienen. Sie führt uns durch ihr Leben und zeigt eine für die damalige Zeit bemerkenswert selbstbewusste, selbständige, gebildete, mutige Frau. Agatha Christie unternahm allein weite Reisen, surfte am Strand von Waikiki (und gilt heute als erste englische Surferin), nahm an Grabungen ihres zweiten Mannes, des Archäologen Max Mallowan, im Irak teil. Auf der Rückreise von Ninive steckte sie einmal infolge von Unwettern 24 Stunden lang mit dem Orient-Express fest – ein Zwischenfall, der den Hintergrund für einen ihrer berühmtesten Romane lieferte.
Es ist selbstverständlich, dass die Autoren dieser Graphic Novel immer wieder in Gesprächen Agathas mit Verlegern, Theaterdirektoren, Filmemachern auf neue Buchprojekte, auf die Suche nach dem passenden Titel, die richtige Besetzung für dieses oder jenes Theaterstück etc. eingehen. Hierbei – das ist ein kleiner Einwand, den ich habe – übertreiben sie es aber etwas. Für eingefleischte Agatha Christie-Fans mag das in Ordnung sein, für mich als „Normal-Interessierte“ ufert das etwas zu sehr aus. Ansonsten aber ist „Das Leben ist kein Roman“ eine durchaus unterhaltsame Führung durch Leben und Werk der englischen Schriftstellerin und eine gelungene Kombination von Wort und Bild; die Zeichnungen aus der Feder von Alexandre Franc treffen Zeit und Zeitgefühl sehr gut.
Dabei haben sich Anne Martinetti und Guillaume Lebeau als Texter und Alexandre Franc den Spaß erlaubt (und der überträgt sich auf die Leser), immer wieder mal von der realen auf eine fiktive Ebene zu wechseln. Dann kommt – und für Agatha Christie meist zur unpassenden Zeit – Hercule Poirot ins Spiel und geht ihr mit seiner Besserwisserei und Nörgelei, mit seinen unerbetenen Ratschlägen und Kommentaren und seinem Feilschen um die „Hauptrolle“ im nächsten Roman gehörig auf die Nerven. Aber auch Miss Marple weiß ihre Interessen zu vertreten …
Kurz: Man muss kein ausgemachter Agatha-Christie-Fan sein, um diese Graphic Novel zu mögen. „Das Leben ist kein Roman“ erzählt auf eine unterhaltsame Weise das Leben einer ungewöhnlichen Frau und außergewöhnlich erfolgreichen Autorin. Das ist schon Grund genug, dieses Buch in die Hand zu nehmen. Und vielleicht auch Anlass, den einen oder anderen Krimi Agatha Christie’s, der 1971 von Königin Elizabeth II. der Titel „Dame Commander des Order of the British Empire“ verliehen wurde, mal wieder aus dem Bücherschrank zu holen.
Eine Zeittafel am Ende des Buches vermittelt einen komprimierten Überblick über das Leben und die wichtigsten Veröffentlichungen Agatha Christies.
Anne Martinetti – Guillaume Lebeau – Alexandre Franc
Agatha Crhistie – Das Leben ist kein Roman
Egmont Graphic Novel, 128 Seiten
P.S.: Ein Pingback von Buchpost hat mich daran erinnert, dass dort eine lesenswerte und ausführliche Besprechung der Autobiografie Agatha Christe’s erschienen ist.
Eine sehr einfallsreiche Idee, Leben und Werk eines Autors zu inszenieren. Das könnte ich mir durchaus auch bei ein paar anderen großen Autoren spannend vorstellen 🙂
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Bestimmt. Wobei man hier in diesem konkreten Fall noch berücksichtigen muss, dass das eingehend geschilderte spurlose Verschwinden von Agatha Christie „echt“ war und keine Erfindung der Buchautoren ist. Aber die haben es geschickt als Einstieg genutzt.
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Liebe Ingrid,
ich bin ja nicht so ein großer Fan von Graphic Novels (ich bin ja mehr so textlastig :-)), aber Dein Beitrag ist so toll, dass ich Agatha Christies „Leben…“ unbedingt haben möchte, ach was: will!
Vielen Dank dafür, Claudia
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Liebe Claudia, ich versuche ja schon seit längerem, Dein Herz für Graphic Novels zu erwärmen. Vielleicht ist es mir ja jetzt gelungen (obwohl ich den – wie mir scheint – besten Teil des Buches, nämlich den Einstieg, schon verraten habe …) Grüße nach Wuppertal, Ingrid
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Danke für den Hinweis, Ingrid, mir gefällt die Homepage des Egmont Verlags sehr gut, ich habe mir gleich ein paar Trailer angeschaut! Einen schönen Tag von Susanne
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Der Egmont Verlag hat eine Reihe interessanter Graphic Novels in seinem Programm. Leider hat man aber im letzten Jahr beschlossen, diesen Zweig des Programms aus wirtschaftlichen Gründen etwas zurückzufahren.
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Schade, ich habe mir die Trailer auf youtube zu den einzelnen Büchern angeschaut, gut gemacht! Ich besitze auch nur eine Graphic Novel – von Thomas Bernhard die Alten Meister. Im Moment sind einfach andere Bücher wichtiger…. leider, denn die Agatha Christie, die hätte ich schon gerne…..
Liebe Grüße von Susanne
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Wenn „mein“ Agatha-Christie-Exemplar nicht aus der Bücherei stammen würde, würde ich es Dir ja gern zukommen lassen. Aber das geht leider nicht…
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Danke, Ingrid, der Gedanke zählt und du hast mich gleich dazu inspiriert, online in den Berliner Bibliotheken zu suchen, ich habe mir das Buch in meine Stammbibliothek um die Ecke bestellt und freue mich, wenn ich es Ende Februar lesen kann.
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Das klingt wirklich sehr verlockend, deine Buchvorstellung – und amüsant!
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Ja, die Autoren hatten ein paar nette Ideen. Das gilt vor allem für den Einstieg mit den Zitaten, den ich klasse finde.
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Eine wunderschöne Besprechung. Die möchte ich ausdrucken und an unser Exemplar in der Bücherei hängen. Ich preise das Buch immer wärmstens an, aber es will sich keiner aufraffen, es zu lesen. „Nein danke, ich lese keine Comics“ – Oh Mann. 🙂
kriminalistische Grüße
Erika
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Danke für die nette Rückmeldung. Ich würde mich freuen, wenn ich dazu beitragen könnte, die Ausleihzahlen für dieses Buch ein wenig in die Höhe zu treiben.
In Deutschland gibt es ja leider immer noch viele Vorbehalte gegen Comics bzw. Graphic Novels. Schade, dass Agatha Christie nicht mehr lebt. Die hätte sonst Miss Marple oder Hercule Poirot beauftragen können, herauszufinden, woran das liegt 🙂
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Schau mal hier, da haben wir Miss Marpels Geburtstag gefeiert: http://www.general-anzeiger-bonn.de/region/vorgebirge-voreifel/alfter/Miss-Marple-feiert-Geburtstag-article1728573.html
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Schöne Idee!
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