Stefan Bollmann: Frauen, die schreiben, leben gefährlich

Zum Glück beginnt dieses Bändchen mit einem starken und verhältnismäßig ausführlichen Vorwort. Elke Heidenreich weiß in ihrem 15 Seiten umfassenden einleitenden Beitrag in klaren und deutlichen Worten zu vermitteln, was im Hauptteil des Buches, nämlich bei den von Stefan Bollmann verfassten Autorinnen-Porträts, vielfach unverbindlich, vage bleibt, kaum herausgearbeitet wird: was das Schreiben für (diese) Frauen denn nun so gefährlich macht oder gemacht hat.

Nicht selten geht es um Leib und Leben. Das kann man beinahe wörtlich nehmen. Nicht, dass man den schreibenden Frauen nach dem Leben getrachtet hätte oder trachten würde. Doch berichtet uns Elke Heidenreich von auffällig vielen Schriftstellerinnen, die Frauen die schreibenSelbstmord begangen haben, die der durch Gesellschaft und Ehemann ausgeübte Druck krank, drogensüchtig, hoffnungslos gemacht hat und deren künstlerische Entfaltung durch Umstände, die nicht bei ihnen lagen, be- oder verhindert wurde. Schreibenden Frauen wurde lange Zeit die Anerkennung verwehrt, sie wurden als unfähig hingestellt, ja sie mussten es ertragen, lächerlich gemacht zu werden. Um überhaupt veröffentlichen zu können, wählten manche Männernamen als Pseudonym.

Während in Künstler-Berufen arbeitende Männer von ihren Frauen bedingungslose Unterstützung bis hin zur Aufgabe eigenständiger Ambitionen einforderten, blieb den Ehefrauen umgekehrt meist die Unterstützung durch ihre Ehegatten versagt. Eine schreibende Frau im Haus – und dann auch noch eine erfolgreiche – wird als unzulässige Konkurrenz empfunden.

Viele „Spielarten“ standen (und stehen teils auch heute noch) zur Verfügung, um schreibenden Frauen das Leben schwer zu machen, sie zu entmutigen, ihnen eine extra Portion Steine in den Weg zu legen.

„Es dauerte“, schreibt Elke Heidenreich, „bis zur Französischen Revolution, bis endlich ‚l’homme‘ nicht mehr nur ‚Mann‘, sondern ‚Mensch‘ bedeutete. Das heißt

die kühne Vision der Gleichberechtigung stand 1789 endlich am Himmel. Da ist sie auch weitgehend geblieben.“

Man muss nur die Einleitung von Elke Heidenreich gelesen haben, um zu verstehen, was das Leben schreibender Frauen so gefährlich machte und teilweise auch heute noch macht. Und allein in dieser Einführung findet sich eine Fülle von Namen, auf die Bollmann bei seiner Tour durch die Literaturgeschichte nur hätte zurückgreifen müssen, um dem Buchtitel gerecht zu werden.

Doch Bollmann hat sich vielfach anders entschieden. Die Spannbreite bei ihm reicht von Hildegard von Bingen über Christine de Pizan, Germaine de Stael, Harriet Beecher-Stowe, Selma Lagerlöf, Astrid Lindgren, Colette, Françoise Sagan, Elsa Morante  bis Doris Lessing und Isabel Allende.  Insgesamt sind es 36 Autorinnen-Porträts. (Die Taschenbuchausgabe, auf der diese Besprechung beruht,  ist wohl nicht völlig identisch mit der Original-Hardcover-Ausgabe.)

Das, was Elke Heidenreich in ihrem Vorwort so nachdrücklich beschreibt und vehement beklagt, findet in Bollmanns Autorinnen-Porträts  kaum fassbaren Niederschlag. Bei etlichen der von ihm ausgewählten (neuzeitlichen) Autorinnen drängt sich die Frage auf, wie sie überhaupt in dieses Buch gerutscht sind, was ihren Kampf – sollte es denn überhaupt einen gegeben haben – um ein künstlerisches, selbstbestimmtes Dasein  gefährlich oder belastend gemacht hat. Und schließlich: Als ein wenig  befremdlich finde ich in einem Buch, das lauter berühmte Schriftstellerinnen porträtiert, die beiden Mini-Kapitel über Anne Frank und Sophie Scholl. Das macht mir ein ungutes Gefühl.

Dass das – übrigens schön gestaltete – Bändchen schließlich doch noch etwas mehr Substanz bekommt, liegt an dem ausführlichen Abschlusskapitel „Der Kampf mit dem Engel“;  hier geht Bollmann der Frage nach, was das Schreiben von Frauen ausmacht und stellt die  Bedingungen dar, unter denen die Frauen, die sich erst einmal die Möglichkeit, Lesen zu lernen erkämpfen mussten,  in den verschiedenen Epochen als Schriftstellerinnen (über-)leben und arbeiten konnten. Die Werke von Jane Austen, Virginia Woolf und Simone de Beauvoir dienen dem Autor als Leitfaden.

Mein Fazit: Ich finde, dass Stefan Bollmann es sich mit “Frauen, die schreiben, leben gefährlich” recht einfach gemacht hat und – jedenfalls partiell – unter falscher Flagge segelt. Auf dem rückseitigen Einbandtext steht, um was es sich wirklich handelt: “’Frauen, die schreiben, leben gefährlich‘ stellt herausragende und charakterstarke Autorinnen vom 12. Jahrhundert bis heute vor.”  Ja, das tut es. Entstanden ist eine Art kleines Literatur-Lexikon über schreibende Frauen. Dass der Aspekt des für Frauen gefährlichen Schreibens überhaupt im Blickfeld bleibt, ist in erster Linie dem Text von Elke Heidenreich zu verdanken.

Es geht, das sei noch angemerkt, in diesem Buch mit wenigen Ausnahmen um Schriftstellerinnen, die der  europäischen und amerikanischen Kultur der letzten 250 Jahre zuzurechnen sind. Bollmann weist in seinem Kapitel „Der Kampf mit dem Engel“ darauf hin, dass das „gefährliche Leben“ als schreibende Frau im Iran oder in Pakistan (man könnte weitere Länder und Regionen nennen) noch schlimmere Dimensionen hat und mit einer „akturen Gefährdung an Leib, Seele und Leben“ verbunden ist.

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Stefan Bollmann
Frauen, die schreiben, leben gefährlich
Mit einem Vorwort von Elke Heidenreich
Elisabeth Sandmann im Insel Taschenbuch, 2014, 144 Seiten

11 Gedanken zu “Stefan Bollmann: Frauen, die schreiben, leben gefährlich

    1. „Frauen, die gefährlich leben, schreiben“ wäre eine interessante Variante. Ein solches Buch müsste aber noch erst geschrieben werden. Bollmanns Buch wird schon dem ursprünglichten Titel nicht wirklich gerecht. – Schön, dass Du zu Druckschrift gefunden hast! Herzliche Grüße, Ingrid

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  1. Na ja, es musste wohl zu dem Konzept „Frauen, die lesen, sind gefährlich“ eine Verbindung hergestellt werden, damit sich das auch noch flott verkauft. Danke für deine Besprechung und auch danke an Birgit für den anderen Buch-Tipp, der offenbar keine Welle abreitet.

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    1. Vermutlich stimmt Deine Einschätzung, dass nach dem, glaube ich, recht erfolgreichen „Frauen, die lesen, sind gefährlich“ in der Erwartung guter Verkaufszahlen noch mal nachgelegt wurde. – Den Buchtipp von Birgit fand ich auch hilfreich und beachtenswert.

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  2. Oh je, das hört sich nach einem reißerischen Namen für ein unausgegorenes Konzept an. Da entdeckt man die Stimmen dieser Autorinnen doch lieber auf anderem Wege. Erhält Olympe de Gouges ein eigenes Kapitel? Sie hatte ja die von Heidenreich erwähnten Bürger- und Menschen(i.e. Männer-)rechte der Französischen Revolution um die Rechte der Frau erweitert und landete später unter der Guillotine. Eine Frau, die es wagte, die Stimme zu erheben und sich politisch zu äußern. Gefahr im Verzug. Eigentlich die Urmutter aller folgenden Generationen weiblicher Autorinnen der Neuzeit, wenn auch keine Schriftstellerin im eigentlichen Sinne.

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    1. In dem Titel steckt schon ein Stück Irreführung, vermutlich zum Zweck der besseren Vermarktbarkeit. – Olympe de Gouges wird mit einem Satz im Kapitel über Mary Wollstonecraft erwähnt.

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  3. Deinen Eindruck teile ich: Ich war ziemlich enttäuscht von diesem Buch. Ich empfehle Dir eher „Leidenschaften“ – 99 Schrifstellerinnen-Biographien, btb Taschenbuch – da wird in den kurzen Aufsätzen eher deutlich, was das Schreiben für Frauen bedeutet, auch als Befreiung, Widerstand etc.

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    1. Es ist zwar schade um das Buch, aber es freut mich, dass Du meine Einschätzung teilst. Die vielen Lobeshymnen, die ich im Internet gefunden habe, kann ich nicht nachvollziehen. – Danke für den interessanten Buchtipp. Einen schönen Sonntag, Ingrid

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      1. Ja, darüber habe ich mich auch gewundert, warum es so gelobt wurde – es ist dünn, von der Seitenzahl her und inhaltlich. Auch Dir einen schönen sonnigen Sonntag! Birgit

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