Vom Umgang mit … Papiertheater (Dietrich Grünewald)

Es gibt sie zwar nicht gerade wie Sand am Meer, und sie füllen bei öffentlichen Vorführungen keine großen Hallen. Für ein Massenpublikum sind sie auch nicht geeignet.  Die kleinen Papiertheater sind aber durchaus lebendig und werden von Kindern wie Erwachsenen gleichermaßen geliebt.

Um so erstaunlicher ist es, dass es kaum Literatur zum Thema gibt. Neuere Veröffentlichungen sind mir überhaupt nicht bekannt, ältere nur vereinzelt und nur mit viel Glück (und meist nicht gerade preiswert) antiquarisch zu bekommen.

Vom Umgang mit PapiertheaterSchon etwas älter ist zwar auch das Bändchen, das ich heute vorstellen möchte, aber ich habe es für nur ein paar Euro ersteigern können. Und die sind durchaus gut investiert.

Autor Dietrich Grünewald beleuchtet das Thema Papiertheater von allen Seiten.

Von grundsätzlichem Interesse ist sein historischer Rückblick. Der Autor stellt die Vorläufer wie Ausschneidebögen, Weihnachtskrippen aus Papier, Guckkästen, Theaterbilderbögen vor. Wir lernen, dass die Ursprünge des Papiertheaters in Deutschland liegen, bei der Idee, Theaterfiguren nicht allein zum Ansehen oder Aufstellen zu nutzen, sondern sie als Spielfiguren für wirkliche Aufführungen zu verwenden, aber wohl London die Nase vorn hatte:

1811 brachte der Grafikhändler William West einen Bilderbogen heraus, der 8 kleine Figuren für die Pantomine Mother Goose enthielt, mit denen das Stück tatsächlich gespielt werden konnte. Der überraschend große Erfolg ermunterte ihn,  weitere Blätter mit Figuren und Dekorationen zu produzieren, die sich an populären Theaterstücken der Londoner Bühnen orientierten. Dass der Erfolg des Engländers rasch Nachahmer auf den Plan rief, wundert nicht. Im deutschsprachigen Raum waren es Unternehmen wie Trentsenky (Wien), Winckelmann & Söhne (Berlin), Josef Scholz (Mainz),, J. F. Schreiber in Esslingen und Gustav Kühn und Oehmigke & Riemschneider (Neuruppin) – Namen, die hier in Druckschrift mit Sicherheit nicht das letzte Mal auftauchen.

Die Darstellung der geschichtlichen Entwicklung des Papiertheaters seit seinen Anfängen zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist aber nur ein Aspekt in diesem Bändchen. Blättert man es durch, merkt man schnell die nicht zu kritisierende Absicht des Autors, Kinder und Jugendliche zum Selbermachen/Selberspielen zu animieren. Es wendet sich „an alle, die das Papiertheater kennenlernen wollen, insbesondere an Lehrerinnen und Lehrer, an Eltern, an Erzieherinnen und Erzieher …, an alle, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten …“. Damit wird gleich ein Bündel von Hoffnungen und Erwartungen verbunden: Spaß und Freude soll das Papiertheater bringen, Kreativität wecken und die Phantasie beflügeln, für Theater und Theaterspiel sensibilisieren u.v.m.

 

Wenn ich Scharlach oder Masern hatte und das Bett hüten mußte …,pflegte ich Bühnenbilder für mein Spielzeugtheater zu zeichnen … Ich glaube, es war damals, daß mich das schillernde Fieber der Theaterkrankheit packte, von der ich mich nie mehr erholt habe.

(Jean Cocteau)

 

Damit die gesteckten Ziele auch erreicht werden, wird im praktisch orientierten Teil gezeigt, wie man mit einfachen Mitteln ein Papiertheater und seine Dekorationen bauen, wie man die Papierschauspieler herstellen und man Aufführungen inszenieren kann.

Interessant ist zum Beispiel (auch wenn man nicht selber spielen will)  ein Kapitel, das sich mit der Figurenführung befasst. Der Reiz des Papiertheaters liegt ja darin, dass die „Schauspieler“ bewegt werden können. So gibt es Konstruktionen, bei denen die Führung von hinten, seitwärts oder von oben erfolgt.

Papiertheater war und ist aber keineswegs ausschließlich Kindersache und auf den häuslichen Bereich begrenzt, wie Grünewalds historischer Rückblick zeigt und es die öffentlich agierenden Papiertheater bis in die heutige Zeit belegen.

Wer gern einmal die Aufführung eines Papiertheaters sehen möchte, aber nicht weiß, wo sich eins befindet, findet auf papiertheater.eu unter „Links“ eine Liste von Bühnen.

 

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Vom Umgang mit … Papiertheater
von Dietrich Grünewald
Volk und Wissen Verlag Berlin 1993, 112 Seiten

 

Passend zur Buchvorstellung der Beitrag in Druckschrift: Vorhang auf für die Papiertheater.

Wie wär’s mit einem Blick hinter die Kulissen eines Papiertheaters? Hier ein Film des Burgtheaters, eines Papiertheaters von Peter Schauerte-Lüke.

11 Gedanken zu “Vom Umgang mit … Papiertheater (Dietrich Grünewald)

  1. „Das schillernde Fieber der Theaterkrankheit“ wie Cocteau es so schön sagt – ach wäre doch jede Krankheit auf diese Weise fesselnd…
    Danke für den schönen Beitrag und ganz herzliche Grüße,
    Marlis

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  2. So im Hintergrund geistert bei mir oft ein tiefes Verlangen, ein Papiertheater zu schaffen. Das kommt vielleicht, weil wir als Kinder zu den Schallplatten vom Hohensteiner Kaspar Papierfiguren zum Ausmalen und Nachspielen hatten. Wir Geschwister konnten den ganzen Text auswendig, von allen vier Langspielplatten. In Kanada habe ich mit den Kindern eine Scherzfabel der Westküstenindianer als Papiertheater aufgeführt: ‚Octopus-Lady‘.

    Schön, dieser Beitrag. Bringt Erinnerungen. Es gibt eine Folge bei den Simpsons, wo Lisa ‚The Tell-Tale Heart‘ von E. A. Poe als Papiertheater umsetzt.

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    1. Es juckt einen schon in den Fingern … Ich kann mir gut vorstellen, dass Erwachsenen das Papiertheater-Spielen mindestens so viel Spaß macht wie Kindern und Erwachsenen das Zuschauen. Danke für den Hinweis auf die Simpsons-Folge! Erstaunlich.

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    1. Das vorgestellte Bändchen steht mit seinen schwarz-weiß-Abbildungen im Kontrast zu der Farbenfreude, die Papiertheater eigentlich auszeichnet. Aber man muss schon froh sein, überhaupt Informationen zum Thema zu finden. Bei Ebay z.B. kann man übrigens (Original-) Theaterbögen erwerben 🙂

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  3. Ich habe das Video gesehen und merke, dass die Aufmerksamkeit auf angenehme Weise eingefordert wird. Manchmal braucht es nicht mehr als ein Stück Papier und eine menschliche Stimme. Schöne Sache.

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  4. das war neu für mich! ich kenne und liebe Theater mit Marionetten, Handpuppen, Stockpuppen, Schattentheater, auch Mischformen …. Sehr hübsch!

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