Wie Schriftsteller zu Werke gehen …

Kleine Zitate-Sammlung aus „Im Schreiben zu Haus“

Dass das Buch von Herlinde Koelbl „Im Schreiben zu Haus“ mir sehr gefallen und mich so manches Gespräch stark beeindruckt hat, ist hoffentlich in meiner Buchvorstellung deutlich geworden.

Aus der Fülle interessanter und bemerkenswerter Aussagen der befragten Schriftstellerinnen und Schriftsteller habe ich für den heutigen Beitrag eine Reihe von Zitaten zusammengestellt. Einfach so. Ohne Anspruch auf einen repräsentativen Querschnitt oder sonst irgend etwas.

Ich habe versucht, die zusammengetragenen Aussagen thematisch zusammenzufassen, doch sind die Übergänge fließend – wie es auch die Gespräche waren, die Herlinde Koelbl geführt hat.

 

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Grundsätzlichere Aussagen

Friederike Mayröcker:

Ich bin verrückt nach Sprache. Ich brauche Bücher, ich brauche Schweigen. Ich rede nicht gern … Das einzige, was ich zu reden habe, schreibe ich.

Yoko Tawada:

Das ist genau so eine Frage wie: Warum leben Sie? Schreiben ist für mich selbstverständlich (Antwort auf die Frage „Warum schreiben Sie?“)

Katja Lange-Müller:

Das ist eigentlich meine einzige Forderung an einen Text. Er muß Affekte auslösen, ungeduldig oder mißtrauisch oder mürrisch oder traurig machen oder jemand zum Lachen bringen. Wenn der Text nichts davon schafft, ist er einfach tot.

Ruth Klüger:

Ich verdanke der Frauenbewegung einiges … Das ist immer ein Thema. Ich habe ein Buch geschrieben, das heißt „Frauen lesen anders“. Frauen lesen anders. Frauen leben anders. Frauen sehen anders. Das weiß man ja eigentlich. Nur wenn es den Männern im positiven Sinne gesagt wird, dann heißt es: Nein, nein, die Frauen sind genauso Menschen wie wir, nur ein bißchen weniger.

Schreiben als Arbeit

Peter Bichsel:

Schreiben ist keine Lebenshilfe. Schreiben ist eine Tätigkeit, und irgend etwas muß man ja tun.

Jurek Becker:

Dann habe ich gemerkt: Am Schreibtisch kann ich ein kleines bißchen fliegen. Ich lese manchmal Texte von mir und komme zu dem Schluß: Eigentlich sind diese Texte intelligenter, als ich es bin. Und ich frage mich, wie das möglich ist …

Ich habe aber die dumme Erfahrung gemacht, daß nichts aufs Papier kommt, was ich nicht dorthin schreibe, nicht eine Zeile … Ich komme nicht aus dem Staunen heraus, was für ein weiter Weg es ist, von dem Satz, der in meinem Kopf ist, bis zu dem Satz, der auf dem Papier steht …

Robert Schneider:

Ich kennen den letzten Satz meines Buches von Anfang an. Ich habe für das neue Buch vier Jahre lang recherchiert, gearbeitet, gelitten, gewartet, gesammelt. Und das ist wichtig. Ich mache ganz genaue Kapitelstrukturen, und die Figuren sind sehr genau definiert.

Herta Müller:

Eher unregelmäßig. Aber wenn ich einmal vierzig oder fünfzig Seiten eines Textes geschrieben habe und schon ziemlich genau weiß, wohin er läuft, entsteht das Bedürfnis, täglich daran zu arbeiten. Ich muß dann einfach weitermachen … (Antwort auf die Frage, ob sie täglich zu einer bestimmten Zeit oder unregelmäßig schreibt)

Erste und letzte Sätze

Robert Menasse:

Erste Sätze haben eine eigentümliche Magie. Ich kann heute noch von vielen Büchern, die ich gelesen habe, den ersten Satz auswendig. Mit ihm lasse ich mir unverhältnismäßig lange Zeit.

Herta Müller:

Das Anfangen fällt mir immer schwer. Ich habe jedesmal Angst, daß ich nicht schaffe, was ich möchte …

Elfriede Jelinek:

Für mich ist der letzte Satz wichtiger als der erste. Weil ich mich eben mit den Anfängen sehr quäle und versuche, möglichst schnell davon wegzukommen. Aber am Schluß bin ich so glücklich, daß es endlich aus ist, daß ich den letzten sehr sehr viel lustvoller finde als den ersten.

Versagensängste / Die Angst vor dem weißen Blatt

Reiner Kunze:

Sie sitzen vor jedem leeren Blatt wie vor dem Nichts. Trotz dreißig, vierzig Jahren Erfahrung. Sie wissen nie, ob das, was Sie auf diesem Blatt schreiben werden, die nötige Qualität haben wird.

Ernst Jandl:

Diese Angst muß man vergessen. Ich kann mich nicht an den Schreibtisch setzen mit der Angst vor dem Versagen. Und ich gehe ja nie an eine Aufgabe heran, für die es nur eine Lösung gibt.

Elfriede Jelinek:

Das Schlimmste ist immer das Anfangen, aber irgendwann schreibt sich der Text wie von selbst…

Aus dem Nichts heraus etwas zu schreiben ist eher eine Qual, aber wenn ich schon etwas habe und damit spielen kann, ist es wahnsinnig lustvoll.

Das Schreibwerkzeug

Sarah Kirsch:

Ich schreibe sehr viel mit der Hand, denn ich habe das Gefühl, daß die Sprache, die sich ja direkt aus dem Gehirn auf das Papier übertragen muß, beim Schreiben erst entsteht.

Alles ist wichtig, die schönen Füller, die Papiere, die schönen Hefte. Das muß alles ein bißchen hübsch sein. Aber das sind nur Dinge, um sich einzustimmen.

Uli Becker:

Das wichtigste ist die weiche Goldfeder. Dazu kommt noch der ästhetische Appeal, den das Gerät für mich haben muß, auch wenn es nicht in Betrieb ist, wenn es nur daliegt, ruhend auf dem Schreibtisch. Ich begebe mich oft in Schreibwarenabteilungen … (Antwort auf die Frage, wie ein Füllfelderhalter beschaffen sein muss, damit es der richtige für Becker ist)

Robert Menasse:

Das hat damit zu tun, daß das Schreiben mit der Hand etwas sehr Sinnliches hat. (Antwort auf die Frage, warum er am liebsten mit der Hand schreibt)

Michael Krüger:

Weil ich ein Manu-skript herstelle, und das ist immer mit der Hand. … Ich finde, die Hand ist der eigentliche Gegenstand des Schreibens, ein Teil der Formulierung. Deshalb muß ich auch täglich schreiben, daß die Hand sich nicht entwöhnt. (Antwort auf die Frage, warum Krüger mit der Hand schreibt)

Herta Müller:

Womit ich schreibe, oder worauf ich schreibe, ist mir nicht wichtig. In Rumänien gab es oft keine Stifte und kein Papier. Zwischen mehreren Papiersorten auswählen zu können, wäre undenkbar gewesen. Noch heute ist mir schönes Papier ganz fremd und hemmt mich eher, als daß ich freudig damit umgehen könnte.

Martin Walser:

Ich brauche diese Art von Körpermitwirkung beim Schreiben. Die Schrift selbst, das Schreiben selber ist auch ein Ausdruck dessen, was da geschrieben wird .. (Antwort auf die Frage „Sie schreiben mit der Hand?“)

Elfriede Jelinek:

Ich habe keine Probleme, etwas wieder zu verwerfen. Der Computer kommt mir da sehr entgegen, weil er mich sozusagen wie ein Tier zum Spielen, zum Spielen mit Sprache auffordert – er ist wirklich wie für mich erfunden.

Ruth Klüger:

Ich schreibe alles auf dem Computer! In den frühen achtziger Jahren habe ich den ersten gekauft zum Schreiben meiner literaturwissenschaftlichen Sachen. Seither laufe ich mit missionarischem Eifer herum und versuche Menschen, die noch mit der Hand schreiben zu konvertieren. denn mit diesem Computer hat sich plötzlich mein Denken geändert. Damit geht die Konzentration, die sich auf das mechanische Schreiben richtet, weg, und man kann sich völlig auf seine Gedanken konzentrieren …

17 Gedanken zu “Wie Schriftsteller zu Werke gehen …

  1. Übrigens habe ich das Buch im Antiquariat für meine Tochter bekommen, in einem sehr guten Zustand und auch erschwinglich. Bis Weihnachten erfreue ich mich daran:)

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    1. Da hast Du aber Glück gehabt. Nach meinem Eindruck sind nicht (mehr) viele Exemplare zu akzeptablen Preisen auf dem Markt; dazu habe ich auch ein wenig beigetragen, denn eins davon habe ich kürzlich blitzschnell gekauft (ich hatte bis dahin ja nur ein Büchereiexemplar, und es hat mir sehr leidgetan, es zurückbringen zu müssen).

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      1. Nein, die Auswahl war auch im Internet nicht groß. Ja, das ist so ein Schatz-Buch, zum immer wieder drin blättern und rein lesen und sich vertiefen…

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  2. Eine eindrucksvolle Auswahl, die meine Neugier auf das Buch noch verstärkt. Da ich ja selbst auch mit Schreiben mein Geld verdiene, finde ich es immer sehr interessant, wie Autoren arbeiten, und womit sie sich leicht oder schwer tun. Ich persönlich tue mich auch mit dem Anfang am schwersten. 😀Nächtliche Grüße aus Greenwich, Peggy

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    1. Du wirst auch an den Kommentaren derjenigen, die das Buch kennen, gesehen haben: „Im Schreiben zu Haus“ ist ein klasse Buch! –
      Ich hoffe, Du bist die Nacht noch etwas zum Schlafen gekommen 🙂 Herzliche Grüße, Ingrid

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  3. Stimmt, das Mayröcker-Zitat ist auch sehr schön. Und so erstaunlich auch „anders“ von der Grundstimmung bei Jandl, ihrem Partner. Haben die eigentlich in der selben Wohnung gelebt und geschrieben?

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    1. Am Anfang ihrer langjährigen Beziehung haben Mayröcker und Jandl kurze Zeit in derselben Wohnung gelebt und gearbeitet. Das hat aber dauerhaft nicht funktioniert.

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  4. Liebe Ingrid,
    eine schöne Auswahl, die Du herausgesucht hast. Ach, schmunzeln musste ich bei Bichsel, es ist, als ob ich ihn fast schon kennen würde. So trocken, kurz angebunden. Und das von Ruth Klüger zu Frauen lesen anders…auch ein empfehlenswertes Buch übrigens!

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    1. Ich hätte massenhaft Zitate bringen können! Von den veröffentlichten finde ich das von Friederike Mayröcker am Stärksten. Was Bichsel angeht: Du hast ja erst kürzlich was über Bichsel veröffentlicht – das kam mir nach der Lektüre des Gesprächs mit Koelbl sehr gelegen. Beides – Dein Blogbeitrag wie auch das Gespräch – haben mein Interesse an Bichsel geweckt. Und „Frauen lesen anders“ von Ruth Klüger liegt schon hier bereit … Herzliche Grüße, Ingrid

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  5. Sehr toll, sowohl die Zitate als auch überhaupt die Vorstellung des Buches. Ivh weiß jetzt, was ich mir zum Geburtstag wünsche und was meine große Tochter zu Weihnachten bekommt:-). Danke!

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